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Stiftung Stralsunder
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Marion Jürgens

»Das Schöne an meinem Beruf: Wenn ich den Flur entlangkomme und man mir entgegenruft: „Frau Jürgens, schön, dass Sie wieder da sind!″«

Marion Jürgens hat vor der Wende als Elektromonteurin auf der Volkswerft gearbeitet und ist seit 2009 als Pflegehelferin im Schwesternheimathaus tätig.

Frau Jürgens, von der Elektromonteurin zur Altenpflegerin: Wie ist es zu diesem Wechsel gekommen?
Das hing mit der politischen Wende 1989 zusammen. Als Elektromonteurin war ich in einer Werkstatt tätig, die die provisorische Elektroversorgung für Schiffe sicherstellte, die noch in Arbeit waren. Dieser Teil der Werft wurde dann ausgegliedert. Für mich und für viele andere hieß das: mich arbeitslos melden. Das Arbeitsamt bot Maßnahmen an, drängte viele in die Selbständigkeit. Die Werft erklärte sich bereit, die Kosten von Eingliederungsmaßnahmen für drei Jahre zu übernehmen. Als Verkäuferin hätte ich arbeiten können, aber stehen und warten, dass Kunden kommen, wollte ich nicht. Es war ja auch unklar, wie es um die Kaufkraft der Leute bestellt sein würde, wie lange die vielen neu entstandenen Geschäfte durchhalten. Nein, habe ich gesagt, ich möchte am Abend sehen, dass ich etwas geschafft habe.

Wie kamen Sie dann zur Altenpflege?
Damals entstanden viele Schulen, die Ausbildungsgänge für Altenpflege anboten, eine Berufsrichtung, die es in der DDR nicht gegeben hatte. Mit 31 Jahren begann ich die Ausbildung zur Altenpflegefachkraft, das war damals noch eine Rundumausbildung und weniger spezialisiert als heute. Krankenpflege, Altenpflege, soziale Betreuung, Sport, Gedächtnistraining, das gehörte damals noch alles dazu. Da ich alleinstehend war und eine zweijährige Tochter hatte, habe ich auch mein Privatleben neu organisiert. Mit Mutter, kleinem Kind und schwerbehindertem Bruder zog ich in eine größere Wohnung, so dass wir uns gegenseitig unterstützen konnten.

Und das war dann der richtige Beruf für Sie?
Ja, denn ich war immer schon jemand, der um sich schaut und auf andere zugeht. Ich sehe, wo jemand mich braucht. Es war genau das Richtige für mich. Aber zunächst schien das keineswegs von Dauer. Als ich meine Ausbildung beendete, gab es zunächst einen großen Überhang an Pflegekräften im Osten, während es im Westen schon ein Mangelberuf war.  

Wäre ein Umzug in den Westen für Sie infrage gekommen?
Nein, für die meisten war das kein Weg, hier alles zu verlassen und in den alten Bundesländern neu anzufangen. Wir sind hier einfach ein sesshafter Schlag. Sicherlich hätte ich mich auch woanders zurechtgefunden. Aber hier ist meine Familie. So stellte sich nach der Ausbildung erneut die Frage: Wie geht es weiter? Wieder der Weg zum Arbeitsamt, zu privaten Vermittlern, ein unübersichtlicher Markt von Maßnahmen und Umschulungen war entstanden, Stellen wurden aus verschiedensten, zumeist kurzlebigen Fördertöpfen finanziert und wieder beendet, Projekte entstanden in Sparten, die es vorher nicht gegeben hatte, wie Einrichtungen für jüngere psychisch Kranke oder gerontopsychiatrische Tagespflege. In beiden Bereichen habe ich einige Zeit gearbeitet. Aber da auch hier die entsprechenden Fördergelder nach einigen Jahren wieder zurückgezogen wurden, ging es aufs Neue los mit der Suche.

Und wie kamen Sie dann in das Schwesternheimathaus?
Ich wurde dann selbst initiativ und habe mich einfach hier beworben. Dass ich nicht kirchlich gebunden war und auch nicht vorhatte, Kirchenmitglied zu werden, stellte sich zunächst als Stolperstein heraus. Für mich selbst war die kirchliche Ausrichtung des Hauses nie ein Problem. Ich habe Achtung vor Menschen mit kirchlicher Bindung und kann das gut mittragen, spreche auch mal ein Abendgebet. Besonders gut gefiel mir von Anfang an die feierliche Aussegnung, wenn jemand stirbt, es ist ein würdiger Abschied.

Wie kommt es, dass Sie als ausgebildete Altenpflegefachkraft als Pflegehelferin arbeiten?
Ich begann mit einer auf zwei Jahre befristeten Stelle als Pflegehelferin. Als die Befristung auslief, bot man mir an, zur Fachkraft zu wechseln, weil ich ja eigentlich unter meiner Qualifikation arbeitete. Aber das wollte ich nicht. Ich war damals familiär sehr gebunden. Meine Mutter brauchte mich, auch meinem pflegebedürftigen Bruder ging es schlechter. Diese häuslichen Aufgaben ließen sich mit dem Arbeitsfeld einer Pflegehelferin besser vereinbaren. Denn die Verantwortung und die nervliche Anspannung sind doch geringer. Zeitintensive und mitunter mühselige Absprachen mit Angehörigen, Ärzten, Apothekern habe ich nicht. Ich hatte auch nie Probleme damit, Weisungen entgegenzunehmen.

Mittlerweile herrscht ja überall ein Mangel an Pflegekräften, hier im Nordosten besonders. Woran liegt es Ihrer Meinung nach, dass so wenig Menschen diesen Beruf ergreifen?
An Wertschätzung fehlt es nicht. In meinem Bekannten- und Freundeskreis erfahre ich immer viel Anerkennung: »Du bist Altenpflegerin, das ist ja schwer …«
Hier im Osten wandern immer noch viele junge Leute in den Westen ab und eine steigende Zahl alter Menschen bleibt zurück. Und die, die bleiben, fragen sich natürlich, ob sie entsprechend entlohnt werden. Denn es ist keine leichte Arbeit. Die Zahl alter Menschen mit Demenz steigt, man hat mit vielfachen Krankheiten, auch psychischen, zu tun. In unserem Beruf wird man ständig mit dem Tod konfrontiert. Nicht immer ist es einfach, Bewohner gehen zu lassen. Damit muss man umgehen können, darf die Probleme nicht mit nach Hause nehmen.
Für viele, gerade für die Bettlägerigen, ist die Pflegekraft der einzige Kontakt zur Außenwelt. Das ist eine große Verantwortung, die manchmal schwer zu tragen ist.  Oft komme ich in ein Zimmer und sehe am Blick, an der Haltung der Bewohnerin, des Bewohners: Der ist heilfroh, wenn ich hereinkomme. Gehe ich, erschlafft er wieder. Das schmerzt dann schon, wenn ich weiß: Der alte Mensch wird jetzt eine Weile warten müssen, bis ich wieder vorbeikomme. Da hätte ich gerne oft mehr Zeit.

Sie haben eine Tochter, wie steht sie zu Ihrem Beruf?
Sie hat etwas ganz anderes gelernt, Industriekauffrau. Aber sie hat sehr viel Hochachtung vor meinem Beruf und weiß, dass der Alltag oft viel Kraft kostet: »Kannst du vorbeikommen oder bist du fix und alle?«, fragt sie dann hin und wieder. »Hast du heute wieder jemandem „Beine machen müssen″«? Damit meint sie, dass ich versuche, den ein oder anderen zu motivieren, sich doch noch selbst anzustrengen, selbst aufzustehen, selbst zu essen. Es gibt ja immer welche, die sich aufgeben. Die zu mir sagen: »Nun mach mal, ich kann nicht mehr.« In dem Fall sage ich bisweilen schon: »Das können Sie noch alleine.« Wenn ich das als gestandene Frau sage, wird das auch akzeptiert, da ist es von Vorteil, älter zu sein.

Was sollte man mitbringen, wenn man in der Altenpflege arbeiten möchte?
»Kannst du auf andere eingehen?«, würde ich die oder den fragen, der sich für den Beruf interessiert. Geduldig sein und zuhören können, das sind die Grundvoraussetzungen. Alles andere lernt man mit der Zeit.
 
Interview: Beate Schneppen, 2018